Unsere Familie lebt seit Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts auf dem Möllenhof und betreibt dort eine Hühnerhaltung mit Vermarktung ländlicher Artikel. Meine Eltern, Georg und Ingrid Werner, hatten den Hof von den damaligen Besitzern auf Lebenszeit pachten können. Meiner Frau Romy und mir bot sich Anfang 2011 die Möglichkeit, den Hof zu kaufen. Dies haben wir nach längerer Überlegung auch getan, der Übergang in unsere Hände erfolgte Anfang August 2011. Sofort begannen wir, den Hof grundlegend zu renovieren. Dabei blieb mancher Stein nicht auf dem anderen.

Der 14. September 2011:

An diesem Tage war ein Mitarbeiter auf dem Möllenhof damit beschäftigt, 4 Lagen Tapete von einer Wand im sog. Schwarzen Flur zu lösen. Als ich nach ihm und dem Fortgang der Arbeiten sah, entdeckte ich zufälligerweise etwas rote Farbe unter allen Tapetenschichten auf der Wand. Was verbarg sich dort. Mit viel Wasser, einem kleinen Spachtel und einer Bürste rückte ich den Tapeten zu Leibe. Nach kurzer Zeit hatte ich zwei auf den Putz gemalte Wappen freigelegt. Sie zeigten sich in einem sehr guten Erhaltungszustand.

Seit meine Familie auf dem Möllenhof lebt, also seit 1960, waren diese Wappen unter den Tapeten verborgen, auch meine Eltern scheinen nichts von ihnen gewusst zu haben. Unser Interesse war geweckt. Von wem stammen sie, aus welcher Zeit sind sie, wer hat sie gemalt?

Die Geschichte des Möllenhofes beginnt in den Jahren zwischen 1862 und 1865. Ein genaues Erbauungsdatum ist nicht mehr festzustellen. Er ist somit einer der jüngeren Höfe im Achterhoek, im Gegensatz zu ihm werden manche Höfe schon im 14. Jhd. erwähnt.

Woher stammt eigentlich der Name „Möllenhof“? Mölle steht plattdeutsch für Mühle, es ist also der Hof an der Mühle. Die Mühle ist als Wahrzeichen des Achterhoeks gut von der Straße zwischen Winnekendonk und Kapellen zu sehen. Sie wurde im Jahre 1797 erbaut, zwei Jahre nachdem unter den Franzosen die Mahlrechte frei gegeben wurden.

Das Mahlrecht lag seit dem 12. Jhd. beim Adel, d.h. es sicherte dem Grundherrn das alleinige Recht zum Bau und Betrieb einer Mühle zu. Damit wurden aber seine Untertanen zugleich gezwungen, ihr Getreide ausschließlich in seinen Mühlen mahlen zu lassen.

Zu diesem Zeitpunkt zeigte sich eine ganz interessante Situation in Kapellen und im Achterhoek. Das Dorf Kapellen gehörte zu diesem Zeitpunkt zu zwei Herrschaftsbereichen. Die Trennlinie war die alte Römerstraße, die „Lange Straße“, die von Geldern kommend durch Kapellen in Richtung Xanten führt. Der von Geldern kommend linke Teil, also in Richtung Winnekendonk, gehörte zum Herzogtum Kleve, der rechte Teil, in Richtung Issum, zum Herzogtum Geldern. In Höhe des heutigen Sportplatzes in Kapellen, d.h. auf Gelderscher Seite, lag direkt an der Fleuth eine Wassermühle. Aufgrund des Mühlenzwangs war es den Achterhoeker Bauern jedoch verboten, ihr Getreide in Kapellen mahlen zu lassen. Sie mussten den viel längeren Weg bis nach Schraveln, also kurz vor Kevelaer, in Kauf nehmen. Als jedoch unter den Franzosen der Mühlzwang aufgehoben wurde, reagierte der Kapellener Bürger Heinrich Holl von der linken, also Klevischen Seite, sehr schnell und nutze die sich ergebenen Möglichkeiten. Er ließ in 1km Entfernung zum Dorf Kapellen auf dem sog. Kutschfeld im Achterhoek eine Turmwindmühle neuester Bauart erstellen, eine sog. Holländer Achtkantmühle. Nun konnten die Achterhoeker Bauern eine sehr viel näher liegende Mühle mit ihrem Getreide beliefern.

1859 verkauft sein Sohn, Peter Heinrich Holl, Ackerer und Gastwirt zu Kapellen, die Windmühle an Theodor Aengeneyndt, ein – wie es in der uns vorliegenden Urkunde heißt – Ökonom und Mühlenbauer, wohnhaft auf dem Boomshof, einer der beiden uns in Richtung Achterhoek gegenüber liegenden Höfe. Er baut in den Jahren 1862-1865 neben der Mühle einen Maschinenschuppen mit Dampfmaschine, um unabhängig vom Wind mahlen zu können sowie für den angestellten Müller eine Betriebsleiterwohnung in Form eines Wohnhauses mit Stall, die Anfänge des Möllenhofes.

Da das Ehepaar Aengeneyndt kinderlos ist, verkauft Theodor Aengeneyndt Windmühle und Möllenhof an den Mann der Nichte seiner Frau (also die Tochter der Schwester der Frau), den Müller Peter Singendonk aus Veert.

Nach dem Käufer, Peter Singendonk ist die Windmühle auch heute noch benannt. Er betrieb sehr erfolgreich das Mühlengeschäft und baute den Möllenhof zu der Vierkantform aus, wie wir sie heute kennen. Peter Singendonk starb 1922 und vermachte Mühle und Möllenhof an seine Tochter Mathilde und seinen Sohn Jacob. Zu diesem Zeitpunkt lebte eine interessante „Wohngemeinschaft“ auf dem Möllenhof, auf die ich jetzt etwas näher eingehen möchte.

Tochter Mathilde hatte 1912 den Lehrer Philipp Glitz aus Düsseldorf geheiratet. Im Mai 1913 wird ein Sohn geboren, er erhält nach dem Vater auch den Namen Philipp. Doch das Glück ist nicht von langer Dauer. Ich zitiere aus dem Totenzettel des jungen Familienvaters: Seit dem 26. Juni 1912 lebte er in sehr glücklicher Ehe mit Mathilde, geborene Singendonk aus Winnekendonk bei Geldern. Der Verblichene, ein Mann treuester Pflichterfüllung, war ein liebevoller Gatte, Familienvater und Lehrer, der die Liebe der ihm anvertrauten Jugend in hohem Maße genoss. Mit heiliger Begeisterung folgte er, als am 1. August 1914 Feinde das Vaterland bedrohten, den Fahnen des Kaisers, bis er auf den Schlachtfeldern Frankreichs am 20. November 1914 den Soldatentod fand.

Mathilde kehrt daraufhin mit ihrem kleinen Sohn auf den elterlichen Möllenhof zurück. In Mathildes Totenzettel heißt es wie folgt: „In der schweren Prüfung der Trennung und Vereinsamung lebte sie nun ganz für Ihren Sohn, für ihre Eltern und Geschwister, auf dem elterlichen Hof.

Der jüngste Sohn Heinrich vom Müller Peter Singendonk, war unverheiratet, in seinem Totenzettel heißt es: „Schlicht und ruhig floss sein Leben dahin, schlicht und rastlos war sein Arbeiten“. Weitaus interessanter ist die Figur des zweiten Bruders, Jacob. Jacob war gar nicht der Typ des engagierten Müllers und Unternehmers. Im Alter von 32 Jahren folgte er seiner künstlerischen Begabung und begann ein Studium der Kunst in München, das er 1912 an der Königlich Preußischen Kunst-Akademie in Düsseldorf fortsetzt. 1914 wird auch er eingezogen, er kehrt jedoch im Gegensatz zu seinem gerade erwähnten Schwager Philipp Glitz unversehrt aus dem Krieg zurück. Die Zeiten sind schlecht, die Nachkriegszeit bietet keinerlei Möglichkeit, um mit der Malerei Geld zu verdienen. So ersetzte er das Malen mit l durch das Mahlen mit hl und erlernt beim Vater den Müllerberuf. Ein mahlender Maler oder ein malender Müller auf dem Möllenhof!

Jacob scheint es auch mit ziemlicher Sicherheit gewesen zu sein, der die im Anfang gezeigten Wappen auf die Wand im Flur des Möllenhofes gemalt hat. Die Wappen haben also etwas mit der Familie Singendonk zu tun. Folgendes haben wir mit Hilfe des Heraldikers und Genealogen Dr. Piess herausfinden können: In einem Wappenverzeichnis, dem Wappenbuch von Rietstap, findet sich ein Hinweis auf das niederländische Geschlecht der Jonkheeren Singendonck. Deren Wappen wird wie folgt beschrieben: „Im silbernen Schild ein rotes Balkenkreuz, belegt an der zweiten und dritten Stelle mit je einem (blauen) Zobel-Schildchen. Über dem goldenen gekrönten Helm mit rot-silberner Helmdecke ein Wilder Mann mit Keule.“ Das passt also schon mal. Das rechte Wappen ist jedoch nirgendwo zu finden. Es ist auch in höchstem Maße heraldisch unkorrekt, man sieht es besonders an der naturalistischen Darstellung des Hofes unten rechts.

Die Geschichte der auf unserem Möllenhof gefundenen Wappen stellt sich wohl folgendermaßen dar: Im 19. Jahrhundert war es im Rahmen der deutschen Nationalbewegung „in“, ein eigenes Wappen zu führen. Es gab wohl mehrere darauf spezialisierte Firmen, Verwandtschaften zu Wappenträgern zu ermitteln, um so das Führen eines eigenen Wappens zu ermöglichen. Vielleicht wurde so eine Firma auch für die Familie Singendonk tätig. Tatsächlich fand man das gerade erwähnte Geschlecht der Jonkheeren Singendonck. Dass die Jonkheeren Singendonck mit CK, man selbst aber nur mit K geschrieben wurde, sollte kein großes Problem darstellen, Hauptsache, man hatte ein eigenes repräsentatives Wappen. Das rechts daneben abgebildete Wappen ist wie gerade erwähnt, so nirgendwo zu finden und heraldisch höchst inkorrekt, man scheint also ein Phantasiewappen gemalt zu haben. Es spricht vieles dafür, dass das Wappen für die Ehefrau von Peter Singendonk entworfen wurde. Vielleicht steht es so selbstbewusst neben dem Wappen ihres Mannes, weil Ehefrau Maria Jacobine – wie man am Niederrhein sagt – wat anne Pööt hatte und damit den Kauf von Mühle und Möllenhof unterstützte.

Am Ende des zweiten Weltkrieges kam der Singendonkschen Mühle nochmals eine große Bedeutung zu. Auf dem Kutschfeld zwischen der Mühle und Kapellen waren drei deutsche Flakgeschütze aufgestellt, die zugehörigen Soldaten auf dem Möllenhof einquartiert. Die Mühle diente aufgrund ihrer Höhe als Beobachtungsposten. In der Nacht vom 2. auf den 3. März 1945 nahten die Engländer. Der Beobachtungsposten auf der Mühle sollte nicht den Engländern in die Hände fallen, darum hielt sich auf dem Möllenhof auch ein deutsches Sprengkommando bereit, das kurz vor dem englischen Einmarsch die Mühle zerstören sollte. Nach einer Erzählung von Herrn Glitz haben die auf dem Hof verbliebenen Mathilde Glitz und Jacob Singendonk an diesem Abend wohl alle vorhandenen Alkoholreserven herangeschafft und an die Soldaten ausgegeben. Jedenfalls hatte das Sprengkommando so gut geladen, dass es fast den Einmarsch der Engländer verschlafen hätte und sich somit sehr plötzlich und zügig aus dem Staube machen musste, für die Sprengung der Mühle war glücklicherweise keine Zeit mehr.

Auf dem Weg zum Rhein hatten die alliierten Truppen die Bewohner der rheinnahen Dörfer nach Westen evakuiert. Diese wurden auch in Kapellen untergebracht, so dass dort am Kriegsende ca. 500 weitere Menschen lebten, die zusätzlich ernährt werden mussten. Man muss sich die Situation heute einmal vorstellen, es gab monatelang keinen Strom! Wie gut, dass die Windmühle noch intakt war, so konnte Korn wenigstens mit Windkraft gemahlen werden. Unter den Evakuierten in Kapellen waren drei Müller, die in Tag- und Nachtarbeit in der Mühle tätig waren, um so genügend Mehl für die hungrige Bevölkerung zu mahlen.

Im Jahre 1958 stellte die Singendonksche Mühle endgültig den Mahlbetrieb ein. Das landwirtschaftliche Inventar des Möllenhofes wurde zur Jahreswende 1958/1959 versteigert. Am 14. April 1960 starb der letzte Müller auf dem Möllenhof. Jacob Singendonk wurde 82 Jahre alt. Für seine Schwester, die Witwe Mathilde Glitz wurde von ihrem Sohn ein Altenteil direkt neben dem Möllenhof gebaut, sie lebte dort bis zu ihrem Tod am 20. November 1969.

Der Möllenhof stand seit dem April 1960 leer. Aus dem Sommer 1960 gibt es einen kleinen von meinem Vater handgeschriebenen Zettel, auf dem folgende Notiz zu lesen ist. „Kapellen bei Geldern, Windmühle, 100m dahinter ein Hof mit Wohnung.“ Die Geschichte unserer Familie auf dem Möllenhof hatte begonnen. Seit dem 1. September 1960 waren meine Eltern Pächter auf dem Möllenhof.